Zeichen der Zukunft | von Alessandra Coppa

Italo Rota ist ein hochgebildeter Querdenker, der sich mit einer ganzen Bandbreite an Themen von Anthropologie bis Philosophie befasst und schon immer gern bereichsübergreifend gearbeitet hat. Sein Büro nimmt sich komplexer internationaler Großprojekte bis ins Detail an, vom Produktdesign bis zur Planung großer urbaner Bereiche, wobei es einen ganzheitlichen Ansatz unter Einsatz innovativer Materialien und modernster Technologien verfolgt. Rotas Projektlösungen basieren auf fundierten Studien, die den planerischen Herausforderungen mit gleichgearteter Komplexität begegnen. Es sind von Modernität geprägte mentale und physische Räume, in denen die Natur immer eine wichtige Rolle spielt.

Die Auseinandersetzung mit modernsten Technologien hat Italo Rota dazu gebracht, sie kontinuierlich in seine Projekte zu integrieren und zukunftsgerichtete Wohnkonzepte zu erdenken, wie das Projekt für Samsung Life/Installed – la casa del futuro und die Pavillons für verschiedene Weltausstellungen: die EXPO 2008 in Saragossa, der kuwaitische Pavillon sowie der Pavillon von Vinitaly auf der EXPO 2015 in Mailand und der derzeit noch im Bau befindliche italienische Pavillon auf der Expo 2020 Dubai (zusammen mit CRA-Carlo Ratti Associati, F&M Ingegneria, Matteo Gatto & Associati).

 

Expo 2008 in Saragossa (Spanien)

 

Von den Weltausstellungen in Saragossa und Mailand bis zur kommenden Expo in Dubai: Gibt es bei Ihren Pavillons ein gemeinsames Leitmotiv?

Ciudades de Agua war einer der fünf Themenpavillons auf der EXPO 2008 in Saragossa, die unter dem Motto „Wasser und nachhaltige Entwicklung“ stattfand. Wir hatten einen Ausstellungsbereich mit innovativen Materialien und mikroklimatischen Kunstgriffen entworfen, der eine Art Rundreise darstellte, in der Bilder, Videos und multisensorische Erlebnisse miteinander verknüpft waren. Die in verschiedene Unterthemen gegliederte Weltausstellung zeigte eine Reihe von Szenarien auf, die mit unterschiedlichen Techniken und vielen Licht-, Geräusch- und Wassereffekten realisiert worden waren. Der Grundgedanke war, den Besuchern nahezubringen, dass Wasser bei der Verbesserung der Lebensqualität in unseren Städten eine zentrale Rolle spielt, sowohl bei Sanierungs- und Stadtumbaumaßnahmen wie auch bei der Planung neuer Ballungszentren.

Der Pavillon von Kuwait auf der EXPO 2015 zeigte, wie die Einwohner Kuwaits Fortbildung und Technologie nutzen, um die Wüste bewohnbar zu machen und ihre Gesellschaft zu modernisieren. Dies geschieht durch Großprojekte für Entsalzungsanlagen, flächendeckende experimentelle Landwirtschaft und die Nutzung von Solar- und Windkraftanlagen anstelle herkömmlicher Energiequellen. Das Pavillonprojekt reproduzierte das Profil der Dhaus, der traditionellen arabischen Segelschiffe, und der Eingang wurde durch große Segel markiert, die zur Rundreise durch drei thematische Bereiche einluden: die traditionelle Landschaft Kuwaits, die dem Wandel dienende wissenschaftliche Forschung und die Gastlichkeit, mit landestypischen Spezialitäten und Produkten.

Leitthema der Weltausstellung in Mailand war die Ernährung. Essen ist ein rein analoger Akt, deshalb ist die Nutzung unserer digitalen Geräte auf das Fotografieren von Speisen und Getränken begrenzt. Vielleicht war es sogar die letzte am „analogen“ Leben ausgerichtete Weltausstellung. Auf der Expo in Dubai ist die Entwicklung hin zum Digitalen wesentlich stärker zu sehen, in den meisten der Pavillons wird man daher mit Bildern bombardiert. Wir haben uns beim italienischen Pavillon dagegen für eine experimentelle Form entschieden, in der die Innovationen nicht ausdrücklich „zur Schau gestellt“, sondern für den Bau des Pavillons eingesetzt werden. Wir haben die komplizierte Aufgabe übernommen, zusammen mit den Partnerunternehmen ein innovatives, an Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft orientiertes Projekt umzusetzen, das ein „Stück“ des Pavillons ist.

 

Pavillon Kuwait Expo 2015 (Mailand)

 

Die Weltausstellung in Dubai 2020 steht unter dem Motto Connecting Minds, Creating the Future. Welcher Gedanke steht hinter dem aus drei Booten geformten Dach des italienischen Pavillons?

Die Boote liegen auf 25 m hohen Pfeilern auf. Von außen sehen sie wie echte Boote aus, nach innen bilden sie hingegen ein durchgängiges, an Wellen erinnerndes Saaldach, das 3500 Quadratmeter überdeckt. Wenn man so will, lässt sich ein umgedrehtes Boot auch als Ursprung von Architektur sehen. Aber auch als Aufforderung an die Anwohner des Mittelmeeres, all denen Respekt zu erweisen, die ihr Leben im Meer verloren haben. Und erinnert uns an das, was auf dem Mittelmeer geschieht.

In den Innenraum des Pavillons werden Zukunftsmaterialien integriert, die aus Orangen, Kaffeesatz, Myzelien und aus dem Meer gefischtem recyceltem Plastikmaterial hergestellt sind, und als Bauelemente verwendet werden, um mit nachhaltigen Bauweisen zu experimentieren und die Kreislaufwirtschaft zu fördern. Neuartige Recyclingmaterialien sind keine banale Wiederverwertung, sondern zielen darauf ab, aus vorhandenen Komponenten etwas Neues und in neuer Form zu schaffen.

 

Rendering italienischer Pavillon Expo 2020 Dubai

 

Die Regierung der Emirate hat uns gebeten, dieses Gebäude nach der Weltausstellung als Kulturerbe zu erhalten. Wir prüfen derzeit die entsprechenden Möglichkeiten und müssen deshalb auch bestimmte Überlegungen zum großen Innenbereich des Pavillons anstellen: Die Mauern schützen ihn vor der äußeren Umgebung, das bedeutet aber auch, dass innen Probleme mit der Luftqualität entstehen können.

Algen werden im Pavillon als natürliche Strategie für die Klimatisierung verwendet, darüber hinaus eignen sie sich aber auch zur Produktion von Energie und als Lebensmittel. Sie dienen zur Entfernung von CO2 aus der Luft, das durch die Besuchermenge produziert wird. Dies ist eines der Zukunftsthemen in der Architektur, denn je größer das umschlossene Volumen, desto höher ist die interne Luftverschmutzung. Viele Materialien können schon heute erheblich zur Reduzierung von CO2 beitragen. Dies alles sind Themen, die gerade in die aktuelle Debatte zurückkehren.

 

 

Recycling, Kreislaufwirtschaft und rekonfigurierbare Architektur: Wie muss sich die Architektur angesichts des Klimawandels ändern? Ratti erklärte, dass die Nutzung der kopfüber liegenden Bootsrümpfe einen geschlossenen Ressourcenkreislauf in der Architektur symbolisiert.

Ich würde eher sagen: „digital rekonfigurierbare Architektur“. Die klassische Architektur der Griechen und Römer ist eine universelle Grundlage. Bei heutigen modernen Architekturkonzepten muss man sich hingegen vorstellen, dass man sich in einer „gotischen Situation“ befindet: Die Rekonfiguration ist die kontinuierliche Arbeit an der Bauweise, die Architektur muss sich laufend neu aufstellen. Der Pavillon in Dubai ist „erzählerische Architektur“, die Konzepte vermittelt; die klassische, repetitive Architektur lässt sich dagegen nicht mit einem komplexen Problem assoziieren. Der Pavillon ist als Theater der „aktiven Erinnerung“ konzipiert worden. Wir hoffen, dass die Besucher durch die Erfahrungen an diesem besonderen Ort dieses Thema begreifen.

 

Wie wird sich unsere Wohnkultur ändern?

Zentrales Element in einem Haus, in einer Wohnung ist heutzutage die Küche. Bis vor wenigen Jahren noch war es das Badezimmer. Bäder wurden zum Fitness- und Wellnessort erweitert, mit Sitzmöbeln ausgestattet, zu einem hybriden Ort gemacht, der bis in das Wohnzimmer hineinreichte. Jetzt dominiert die Küche. Das wirft verschiedene Probleme auf und führt zu einem technologischen Rückschritt, weil die Leute kochen möchten. Küchenhersteller nutzen sehr wenig Technologie; die Küche von heute ist ein vollkommen „analoger“ Raum. Ich stelle mir zukünftige Wohnwelten vor, die, sobald es die neuen Technologien erlauben, um Kernelemente herum gebaut sind. Ich denke hier an Gebäude mit unterschiedlich ausgestalteten Wohnsituationen, eine Art „Termitenhügel“ für Menschen mit unterschiedlichen Charakteren. Das Haus der Zukunft wird eine Einheit mit verschiedenen Dienstleistungen sein: Um den Planeten zu retten, werden Gegenstände auf ein Minimum reduziert sein. Wer beispielsweise heute berufsmäßig viel reist, lernt ein mondänes Klosterleben zu führen: Man kleidet sich in der immer gleichen Weise und führt zunehmend kleiner werdendes Gepäck mit sich. Es werden immer mehr technologische und Recyclingmaterialien entwickelt, die sich für jedes Klima eignen, eine Art zweite Haut, beispielsweise aus Baumwolle, die mit Nanotechnologien behandelt ist.

 

Wie nutzen Sie die neuen Technologien in Ihren Projekten?

In der Bauwirtschaft müssen die neuen Technologien zur Problemlösung genutzt werden. Wir befinden uns in einem Moment, in dem das Potenzial der neuen Technologien fragmentiert und noch nicht klar hervorgetreten ist. Die Zukunft ist schon da, aber es ist schwierig, sie zu erkennen – wie eine Landschaft im Nebel, der sich an manchen Stellen lichtet und bestimmte Dinge erkennen lässt. Die Auswirkungen werden sich in 4-5 Jahren zeigen, wenn es neue Kunden und neue Themen geben wird. Ich denke, wir erleben heute das Ende eines Zyklus. Die letzten Werke des Architekturbüros von Zaha Hadid stellen den Abschluss des 20. Jahrhunderts dar, es sind ausgereifte Projekte. Auf der Weltausstellung in Dubai wird das Lufttaxi präsentiert, ein Lufttaxi-Parkplatz ist aber kein wirklicher Parkplatz oder Flughafen. Die Richtung, in die es geht, ist eine ganz andere: Es wird schon über die Gründung von Städten auf dem Mars nachgedacht. Beispielsweise hat der Emir von Dubai, Scheich Mohammed bin Raschid Al Maktoum, in einer Reihe von Tweets die Gründung von „ Mars 2117“ angekündigt. Ein Teil dieser Überlegungen schlägt sich auch im Bau eines Stadtviertels in Dubai nieder. Um Themen wie den Klimawandel anzugehen, muss heute auf die Erprobung extremer Lösungen gesetzt werden. Diese Themen stoßen in der Architektur bisher auf wenig Gegenliebe, Architekten sind keine Visionäre. Aber man kann nicht so weiter machen, wie bisher. Wohnraum auf dem Mars ist eine notwendige Gedankenübung. Aber ob auf dem Mars oder in Shanghai – man wird immer mit schwierigen Bedingungen und dem Bedürfnis nach Innovation konfrontiert.

 

Welches Ihrer ausgeführten Projekte lässt das Streben nach Neuausrichtung erkennen?

Ein Beispiel dafür ist das hochautomatisierte Elatech-Werk in Brembilla (Bergamo, 2014). Die Produktion befindet sich in einem zum Berg gerichteten Bereich, der durch Mauern gegen das Erdreich abgegrenzt ist und eine große Glasfassade mit Blick auf das Tal und den Fluss besitzt. Die Produktionsabteilung und das Lager sind ein Beispiel für die innovative Gestaltung der Arbeitswelt. Die Fabrik ist dafür vorgerüstet, in einigen Jahren in der Logistik Drohnen einzusetzen.

 

 Elatech-Werk in Brembilla (Bergamo)

 

Welches Zukunftspotenzial haben Keramikbeläge?

Keramik ist eines der Zukunftsmaterialien. Etwas hinderlich ist aber meiner Ansicht nach, dass es als ewiges Material beworben wird, was ein psychologisches Paradoxon verursacht… aber man kann ja nochmal darüber nachdenken!

 

 

BIOGRAPHIE

Italo Rota wird 1953 in Mailand geboren, wo er 1982 seinen Hochschulabschluss an der Technischen Hochschule macht. Seinen Stil und seine Technik entwickelt er auf der Basis praktischer Erfahrungen in den Architekturbüros Franco Albini und Gregotti Associati sowie seiner Tätigkeit als Redakteur für die Zeitschrift „Lotus International“.

Nach dem Sieg beim Wettbewerb für die Umgestaltung des Musée d’Orsay geht er nach Paris, wo er für den Umbau des Museums für Moderne Kunst im Centre Pompidou (zusammen mit Gae Aulenti und Piero Castiglioni) verantwortlich zeichnet. Er plant die neuen Räume der französischen Schule im Cour Carré im Louvre, die Beleuchtung von Notre-Dame, die Uferstraße der Seine, den Umbau des Zentrums von Nantes und die Einfamilienhäuser in Ivry. In Paris ist er bis 1995 tätig, danach kehrt er nach Mailand zurück, wo er das Architekturbüro Italo Rota gründet.

Unter seinen Projekten sind insbesondere das Museo del Novecento im Palazzo dell’Arengario an der Piazza Duomo in Mailand, das Italian House an der Columbia University, New York und der Hindu-Tempel in Mumbai zu erwähnen. Er konzipierte viele Ausstellungen, Installationen und Pavillons, darunter den Hauptpavillon für die Weltausstellung 2008 in Saragossa, Spanien. Zu den jüngeren Arbeiten gehören das Stadtmuseum in Reggio Emilia, die Elatech-Fabrik in Brembilla (Bergamo), das große Maciachini-Theater in Mailand, der kuwaitische Pavillon und der Pavillon von Vinitaly Wine: A Taste of Italy auf der Expo 2015 sowie die Ausstellung Arts & Foods im Designmuseum Triennale in Mailand. Noch im Bau ist der italienische Pavillon auf der Weltausstellung 2020 in Dubai, mit dessen Realisierung das Rota Building Office als Gewinner eines Wettbewerbs zusammen mit Carlo Ratti Associati, F&M Ingegneria, Matteo Gatto & Associati beauftragt wurde. Rota ist zurzeit wissenschaftlicher Leiter des Campus LIADE (NABA und Domus Academy) in Mailand, wo er seine rege praktische Tätigkeit mit intensiver theoretischer Arbeit verbindet, die ihren Niederschlag in der Veröffentlichung von Büchern, Artikeln für Zeitschriften und Tageszeitungen, Konferenzen und Vorlesungen findet.

 

Januar 2020