Picasso und die Keramik – eine Ausstellung im MIC | von Simona Malagoli

Pablo Picasso, eines der größten Kunstgenies alle Zeiten, ist weltweit für seine Gemälde, Zeichnungen und seine kubistischen Bilder und Skulpturen bekannt. Weitaus weniger bekannt sind seine zahlreichen Keramiken, die oft genug als zweitrangig angesehen werden. Doch die mehr als 3000 Keramiken, die Picasso im Laufe seines Lebens anfertigte, sind ein enormes Werk, mit dem er das bestehende Kunstsystem herausfordern und überwinden wollte. Entstanden sind diese Keramiken in einem ebenso kreativen Prozess, wie derjenige, den er bei seinen Skulpturen und Gemälden verfolgte. Die Keramiken Picassos sind nicht nur ein Nebenprodukt seiner künstlerischen Tätigkeit, sondern im Gegenteil ein Mittel, das seiner Kreativität vollständigere Ausdrucksmöglichkeiten bot, und grundlegend für das Verständnis seines Gesamtwerkes sind.

Schwerpunkt der am 1. November vergangenen Jahres im Internationalen Keramikmuseum in Faenza eröffneten Ausstellung Picasso. La sfida della ceramica ist die Art und Weise, wie sich der Künstler durch Reflexion und Aneignung der handwerklichen Techniken diesem Material angenähert hat. Kuratoren sind Harald Theil und Salvador Haro González in Zusammenarbeit mit Claudia Casali, der Direktorin des MIC. Dank der außergewöhnlichen Leihgabe von 50 einzigartigen Kunstwerken aus dem Musée National Picasso-Paris – Träger des internationalen Projektes „Picasso-Méditerranée“, an dem die Ausstellung teilnimmt – erhält der Besucher einen Einblick in die Methoden für Serien, Variationen und Metamorphosen, die auch schon aus den Entwurfszeichnungen Picassos abzuleiten sind. Die Keramiken werden, angefangen bei den Objekten aus den Sammlungen des MIC, in einen Dialog mit Picassos Inspirationsquellen gestellt. Neben die historischen Keramiken werden die Werke des spanischen Künstlers gestellt, die trotz ihrer Modernität zeigen, wie eng verwurzelt Picasso mit der jahrtausendealten Geschichte der Keramik war, von klassischen griechischen Vasen mit roten und schwarzen Figuren über die etruskischen Buccheri, den Tongefäßen der prähispanischen Kulturen bis zur volkstümlichen Keramik aus Spanien und Frankreich. Picasso kannte die zahlreichen im Louvre in Paris ausgestellten Keramikobjekte der antiken Mittelmeerkulturen, besaß viele Bücher zu antiker Kunst und bezog seine Inspirationen – sowohl hinsichtlich der Formen als auch der Themen eines Großteils seiner Keramiken – aus Gefäßen mit menschlichen oder tierischen Formen, insbesondere Votivobjekte, Trankopfer, Parfümbehälter, etruskische Urnen, Oinochoe in Frauenkopfform oder Vasenfrauen. Der Künstler schuf sogar fiktive „antike“ Keramiken und bemalte archäologische Keramikfragmente. Picasso assimilierte die besonderen technischen Merkmale und die stilistischen Traditionen von Keramik. In seinen sehr unterschiedlichen Werken befreite er die Ausdrucksform Keramik von einengenden Regeln und beschritt neue künstlerische Wege.

 

Für sein Werk verwendete er größtenteils Keramiken, die in der Werkstatt von Madoura in Vallauris verfügbar waren. Hier arbeitete er fünfundzwanzig Jahre lang, von 1946 bis 1971. Außerdem verwendete er Formen der Madoura-Eigentümerin Suzanne Ramié wie Teller, Krüge und Vasen, die er durch Bemalung veränderte, dabei aber nicht den Endzweck der Objekte und ihren Traditionsgehalt aus den Augen verlor. Viele der Keramiken Picassos reflektieren eine ihn besonders interessierende Problematik: das Verhältnis zwischen Bild und Gegenstand, das zur Integration oder Transformation von Gegenständen in Kunstwerke führt. Wie einige der ausgestellten Objekte zeigen, verwendete er beispielsweise zerbrochene Kacheln, die er mit Frauengesichtern versah. Picasso verarbeitete nicht nur bereits vorhandene Formen, sondern schuf selbst auch neue. Er war fasziniert von den plastischen Möglichkeiten und modellierte die vom Keramiker Jules Agard auf der Töpferscheibe gedrehten Elemente um, formte sie zu „Vasenfrauen“ oder Tauben, wie ein Kurzfilm von Luciano Emmer aus dem Jahr 1954 dokumentierte (Picasso a Vallauris), der im Ausstellungsraum gezeigt wird. Besucher der Ausstellung können also Picasso bei der Arbeit zusehen und von ihm selbst kuriose Details erfahren. Beispielsweise sagt Picasso in Bezug auf die Umformung von Tonflaschen in Tauben: „Um eine Taube zu formen, beginnt man zuerst damit, ihr den Hals umzudrehen.“

Wie unauflöslich die Keramikproduktion des spanischen Genies mit seinem Gesamtwerk verbunden ist, wird durch verschiedene Keramiken deutlich, die nicht nur Rekurse auf Traditionen nehmen, sondern auch auf seine Erfahrungen als Maler, Graveur und Bildhauer. Verschiedene Motive seiner Keramiken hatte er bereits in Gemälden, Lithographien und Zeichnungen verwendet, z.B. die beiden Teller mit Karussellszenen oder die Platte mit dem Motiv Menina, die zu der 56 Werke umfassenden Serie mit diesem Motiv von 1957 gehört. Umgekehrt beeinflussten seine Erfahrungen aus der Arbeit mit Keramik auch seine späteren, nicht-keramischen Kunstwerke.

Picasso, Kunstgenie und Erneuerer, beschränkte sich nicht auf die Anwendung traditioneller Techniken, sondern revolutionierte sie und wendete ungewöhnliche Methoden an. Das, was er nicht kannte, forderte ihn geradezu zu Experimenten heraus, für die er auf seine Kenntnisse anderer künstlerischer Ausdrucksformen und auf seine starke Intuition zurückgriff. So verwandelte und erweiterte er traditionelle Techniken und erfand neue. Beispielsweise die sogenannten Originalkeramiken: Auf der Basis seiner Erfahrung in der Druckgrafik entwickelt er das Konzept der Stempelkeramiken (empreintes originales). Es sind mit Gipsmatrizen behandelte Keramiken, die einzeln farblich dekoriert und als limitierte Auflagen Picassos produziert wurden. „Authentische Replikate“ waren hingegen autorisierte Reproduktionen von Werken des Künstlers, einige davon sind auch in der Ausstellung zu sehen.

 

Picasso wollte seine Kunst einem breiten Publikum zugänglich machen und sie aus der Umklammerung der Sammler lösen. Seine Keramiken und vor allem diese Serienauflagen ermöglichten ihm, dieses Ziel zu erreichen: Keramik – in Form von Gebrauchskeramik – war eine volkstümliche Kunstform und dadurch geeignet, größere Nähe zur modernen Kunst zu schaffen.

Ein spezieller Bereich der Ausstellung ist der Beziehung zwischen Picasso und der Stadt Faenza gewidmet, wo die im Besitz des Internationalen Keramikmuseums Faenza (MIC) befindlichen Werke des Künstlers gezeigt werden. Nach der Bombardierung Faenzas durch die Alliierten im Mai 1944 schrieb der damalige Direktor und Gründer des Museums, Gaetano Ballardini, einen bewegenden Brief an Picasso und ersuchte Tullio Mazzotti in Albisola, Gio Ponti und das Ehepaar Ramié, den Meister um einige Arbeiten für den Wiederaufbau der zerstörten Sammlungen moderner Keramikkunst und eine Ausstellung in Faenza zu bitten. So kam es, dass Picasso dem MIC 1950 den ovalen Teller mit dem Motiv der Friedenstaube zum Geschenk machte. 1951 folgten weitere Teller mit Faunsköpfen und archaisch anmutende Vasen sowie die große bemalte Vase Le quattro stagioni mit Einritzungen und der bildlichen Darstellung von vier Frauenfiguren. Ergänzt wird die Ausstellung durch reichhaltiges didaktisches und fotografisches Material. Es sind Dokumente, Briefe, Zeitungsausschnitte und Fotos aus dem historischen Archiv des MIC, die zum ersten Mal ausgestellt werden. Besonderen Reiz haben die großformatigen Fotos von Picasso, die dem Zuschauer zugewandt sind, ganz so, als wollten sie die Absicht des großen Meisters, mit seinen Keramiken ein breites Publikum zu erreichen, unterstreichen.

 

Februar 2020