Ideen für sprechende Objekte | von Alessandra Coppa

Studien zu Gegenständen des täglichen Gebrauchs sind für Giulio Iacchetti ein Anlass, diese neu zu erfinden oder neue Typologien zu entwickeln. Am Anfang einer Objektentwicklung stehen zunächst einmal viele Fragen und danach konzentriert er sich auf die Idee, um konkrete und funktionelle Formen zu schaffen, die aber auch viele symbolische Werte enthalten.

Die Erforschung Iacchettis geht über Form und Werkstoff hinaus und fokussiert auf den Sinn der Objekte jenseits ihrer Funktion: Ein Indiz für diesen Ansatz versteckt sich häufig im ihrem Namen oder im Bezug zu einem bestimmten Umfeld.

Giulio Iacchetti ist auf der kommenden Cersaie für die Gestaltung der Messehallen für die Badezimmerausstattung verantwortlich.

Wie begann Ihre Karriere als Designer eigentlich?

Meine Anfänge sind durch eine eher naive Haltung dem Design gegenüber charakterisiert. Ich bin Autodidakt und habe am Anfang eigentlich nichts anderes getan als meine Ideen in kleine Modelle und Prototypen zu verwandeln und diese den Firmen in recht improvisierter Weise vorzustellen. Im Laufe der Zeit habe ich diese Art von Kundenakquise etwas ausgefeilt, aber im Grunde genommen, mache ich es häufig auch heute noch so. Rückblickend sehe ich gewisse Ähnlichkeiten mit Meistern wie Enzo Mari und Aldo Rossi. Ich habe immer versucht, die von Mari geschaffenen Objekte zu verstehen, um nachzuvollziehen, wie er Projektlösungen für eine Produktart entwickelte. Mein Lernen fand durch die unmittelbare Auseinandersetzung mit seinen Objekten statt. Für mich war es wichtig, diese Objekte zu besitzen ohne irgendeine Mediation durch Video oder Fotos, weil sie eine enorme Ausstrahlung von Wissen und komplexen Lösungsansätzen in sich bergen. Diesem Ansatz von Mari, der sehr streng und intensiv ist und keine Abweichung von der formalen Lösung der Produkte gestattet, steht die wesentlich entspanntere Sichtweise von Aldo Rossi gegenüber. Bei ihm bewundere ich die Fähigkeit, Gebrauchsgegenstände zu entwickelt und zwar nicht durch funktionale Ableitungen, sondern in Bezug auf Urformen, die bereits in unserem Unterbewusstsein gespeichert sind. Von ihm habe ich gelernt, über das Binom Form-Funktion hinauszugehen und die Objektform als einen neuen Ansatz zu verstehen, auch über Verzerrungen, die aber trotzdem im Gedächtnis verhaftet bleiben. Seine Projekte sind alle bedeutungsvoll und überwiegend alle auch kommerziell sehr erfolgreich.

Was war Ihr erstes Objekt, das in Produktion gegangen ist?

Ein Handgriff: Das was das Abschlussprojekt einer Ausbildung, an der ich teilgenommen hatte. Das Modell aus gebogenem Holz habe ich einem Unternehmen vorgestellt, das es dann auch produziert hat. Diese Erfahrung hat mich für immer gezeichnet; ich verstand, dass ich meinen Beruf gefunden hatte.

Es wirkt so, als ob Sie Ihre Ideen in eine Form bringen und Ihr Ansatz immer vom Zweifel ausgeht; Studien fußen auf einer kritischen Diskussion, die Sie jedes Mal zu Beginn eines neuen Projektes durchführen. Sie haben einmal erwähnt, dass Sie Ideen auftauchen lassen. Was meinen Sie damit?

Ein Projekt ist ein Weg, das Ergebnis eines Prozesses. Als Designer treffen wir häufig auf Typologien, die bereits in mannigfacher Weise ergründet und interpretiert wurden. Was können wir noch dazu sagen? Vor allem muss erst mal ein Sinn gefunden werden. Man sollte die Dinge hinterfragen, sich nicht kopfüber in die Schaffung mehr oder weniger abstrakter Formen stürzen, die mehr oder weniger nah an der Gestik der Lösung ist, sondern sich als oberstes Ziel das ‚Warum‘ unseres Handels vor Augen führen, eher auf den Sinn und weniger auf die Methode achten.

Es gibt immer einen neuen Weg Dinge zu tun, aber diesen gilt es zu entdecken; um der bestehenden Objektwelt einen authentischen planerischen Beitrag zu geben, experimentiert man und dabei tauchen Ideen auf. Denn das Projekt ist eigentlich schon da, aber man muss es aufdecken, und das erfolgt durch Sondierung und Erkundung. Mit der Zeit taucht es auf und alles Verwendbare kommt zu Tage. Der Lärm, der Schmutz, das Nutzlose, die Komplexität, die redundanten Zeichen, und im besten Fall bleibt die Idee übrig. Eine Idee freizulegen erfordert, den Boden aufzugraben, Fragen zu stellen, neue Wege auszuprobieren und Fehler zu machen.

Auf die Idee folgt die Absicht, eine Erzählung mit den Objekten zu verbinden?

Es entsteht fast der Eindruck, dass die Theorie, dass Objekte eine Geschichte erzählen erst heute entstanden ist. Aber Gegenstände erzählen immer schon eine Geschichte, der Rosettastein genauso wie eine Gießkanne. Dahinter steht immer der Gedanke des Entwicklers, der dadurch zu uns getragen wird.

Wenn ich ein gut gelungenes Objekt sehe, das meinetwegen schon 1000 Jahre alt ist, berührt mich das genauso wie ein wunderbares Gedicht oder ein Kunstwerk. Der Gegenstand steht immer im Dialog mit dem Nutzer.

Ich glaube, dass alle Dinge uns etwas erzählen. Alle Objekte sind fähig, komplexe, einfache, banale oder wunderbare Geschichten zu erzählen.

Die eigentliche Frage ist nicht, ob Gegenstände eine Geschichte in sich tragen, sondern ob wir diese auch hören. Die Geschichte eines Produktes kann der Nutzer auf verschiedenen Ebenen verstehen. Die Kaffeekanne von Rossi zum Beispiel, die der Kuppel des Doms in Novara nachgestellt ist, erzählt eine unmittelbar nachvollziehbare Geschichte einer maßstabsgerechten Darstellung der Kuppel des Antonelli in einer Kaffeekanne. Diese kleine Kanne, die aus einer Stadtlandschaft heraus in unsere kleine Wohnlandschaft gelandet ist, beeinflusst die Beziehung mit den anderen Objekten in einer Küche, aus der weitere Geschichten von Harmonie und Gleichgewicht, Nähe und Ferne entstehen.

Erzählen Sie uns die Geschichte eines Ihrer Objekte, die Sie bezeichnend finden, um zu erklären, was Sie unter Design verstehen?

Am Ende kehren wir immer wieder zur Eiswürfelform Lingotto für Guzzini zurück, weil hier viele kleine Geschichten enthalten sind, an denen ich sehr hänge. Die Anfrage war, einen Gegenstand zum Thema Wasser zu entwickeln, der den Wert dieses unverzichtbaren und universalen Gutes einfließen lassen sollte. Ich habe also eine Eiswürfelform entworfen, die statt Würfeln aus Eis kleine Barren mit der Schrift GOLD produziert.

Der Lingotto ist also von einem simplen Eiswürfelbehälter aus Silikon zu einem Gegenstand, der zum Denken anregt, mutiert?

Mit Lingotto rege ich eine Überlegung zum Wert von Wasser an, ohne dabei als Moralprediger dastehen zu wollen. Lingotto zwingt nicht zu weniger Wasserverbrauch, sondern stellt Eis in Barrenform her anstatt der typischen Würfel. Auf der Unterseite jedes Barrens entsteht dabei die Schrift GOLD und das Wort erinnert daran, dass Wasser ein kostbares Gut ist, das nicht verschwendet werden darf.

Der kleine Prototyp ist für eine Ausstellung entstanden und wurde dann von einem großen Unternehmen industriell gefertigt. Damit schließt sich der Kreis für dieses kleine Projekt, das auch ein politscher Fall ist, denn ich glaube, Gegenstände dienen auch dazu.

Im Sinne, dass Sie in Projekten immer auf den demokratischen Wert der Objekte verweisen?

Vielleicht sollte man erst einmal klären, was unter demokratischen Objekten zu verstehen ist. Für mich sind das Objekte, die für alle verständlich sind und nicht selbstreferenzielle und hermetische Objekte, bei denen man sich fragt, was sie darstellen oder deren Form einen intellektuellen Ansatz für das Verständnis erfordert. Ein Gegenstand muss direkt zugänglich sein, alle Personen ansprechen – das ist für mich ein Beispiel von erweiterter Beteiligung und damit Demokratie. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn auch der Verkaufspreis dieses Konzept ausdrücken würde. Nicht immer gelingt uns das und leider steht Design immer wieder auf der gleichen Stufe mit Luxus und Exklusivität. Der Wert einen teuren Objektes sollte gut kommuniziert werden, denn es ist gut gemacht und man wird lange Freude daran haben.

Haben Sie mit bereits Keramikfliesen- oder Sanitärherstellern zusammengearbeitet?

In Vergangenheit habe ich mit dem Sanitärkeramikhersteller Globo zusammengearbeitet und vor kurzem habe ich für Refin eine Fliesenkollektion geschaffen. Zusammen mit Refin ist ein geometrisches Dekor entstanden, mit dem sehr variable Kombinationsmöglichkeiten zu attraktiven grafischen Bildern zusammengefügt werden können. Dieses Projekt hat uns viel Spaß gemacht: Es heißt Labyrinth und bildet eine sehr vielfältige und ansprechende Oberflächenstruktur.

Für die Cersaie habe ich die Messehallen für die Badezimmerausstatter neu gestaltet. Ich habe hier einen Ansatz entwickelt, der die Hallen und ihre Aussteller aufwertet und zum Besuch einlädt. Die Hallenwände wurden durch kleine, aber sehr wirkungsvolle Eingriffe neu definiert und haben nun eine Art flexible und schimmernde Abdeckung, die an einen Wasserfluss erinnert. Außerdem wurde eine besondere Gewebestruktur für den Bodenbelag entwickelt, durch den die Gänge elegant und attraktiv wirken.

BIOGRAPHIE

Giulio Iacchetti ist seit 1992 als Industriedesigner tätig und hat mit verschiedenen Firmen kooperiert, darunter Abet Laminati, Alessi, Artemide, Ceramiche Refin, Danese, Fontana Arte, Foscarini, Magis, Moleskine, Pandora design. Sein besonderes Kennzeichen ist die Suche und Definition neuer Objektarten, wie beispielsweise Moscardino, einem biologisch abbaubaren Mehrzweckbesteck, das er gemeinsam mit Matteo Ragni für Pandora design entwickelte und welches 2001 mit dem Designpreis Compasso d‘Oro ausgezeichnet wurde. Im Jahr 2009 wurde er mit der höchsten Auszeichnung für Innovation vom Präsidenten der italienischen Republik für sein Projekt Eureka Coopa geehrt, mit dem er Design im Lebensmittelhandel einführte. Auf der Triennale in Mailand gastierte 2009 seine Einzelausstellung „Giulio Iacchetti. Ungehorsame Objekte“. Iacchetti legt in seinen Arbeiten viel Wert auf die handwerkliche Realität und Design und ruft 2012 Internoitialiano ins Leben, eine „ausgedehnte Fabrik“ bestehend aus vielen Werkstätten verschiedener Handwerker, mit denen er Einrichtung und Zubehör baut, das dem Leben und Tun der italienischen Bevölkerung nachempfunden ist.

Gleichzeitig führt er seine persönlichen Studien zu neuen Themen wie das Kreuz fort, aus dem die Wanderausstellung „Cruciale“ im Diözesan Museum in Mailand, in der Basilika von Santo Stefano Rotondo in Rom und im Castello di Lombardia in Enna hervorging. Mit der Ausstellung Razione K, der Ration für Soldaten an der Front, einer Aktion der Triennale in Mailand im Januar 2015, ist eine Reflektion zur Wesentlichkeit und Planung des anonymen Designs zum Thema Lebensmittel entstanden.

2014 erhält er zum zweiten Mal den Designpreis Compasso d‘Oro für seine mit Matteo Ragni für Montini geschaffenen Kanaldeckel.