Keramikprodukte für den Innenausbau | von Donatella Bollani

Ob Zell- oder Schaumstruktur, durchscheinend oder transparent – die Forschungsarbeit in der Keramik ist äußerst aktiv und so dürfen wir in den nächsten Jahren eine Reihe neuer Materialien erwarten, die das Anwendungsfeld von Keramik enorm erweitern werden. Einige Anwendungen der jüngsten Zeit haben bereits gezeigt, wie viel Spielraum Keramik noch für Architektur und Design bietet, ein allseits bekanntes Material, das in der Baubranche vor allem in großen Formaten und mit geringer Scherbendicke eingesetzt wird.

 

Bereit für den Druck

Zu den neuesten Experimenten von AGC, einem international führenden Hersteller von Glas und Hightech-Materialien, gehört das Projekt objets d’art, an dem der japanische Produktdesigner Keita Suzuki mitwirkte.

Kunst und neueste Technologien stellen sich gemeinsam der Herausforderung, die Grenzen von Glas und Keramik auszuloten.

Dank digitaler Planung und additiver Präzisionsfertigung kann jedes handwerkliche Erzeugnis zu einem exklusiven Produkt werden. Der Gusswerkstoff BrightorbTM wurde von AGC Ceramics Co., Ltd., einem Unternehmen der Gruppe, speziell für den 3D-Druck entwickelt. Dieses neue Material ist ein Mischpulver, das aus winzigen Partikeln (ca. 50 μm) besteht: kleinste Keramikperlen, verbunden mit Tonerdezement, der zuvor in einem Befeuchtungsprozess gehärtet wird.

Die BrightorbTM-Schichten werden in einer Stärke von jeweils 0,1 mm gedruckt, das verwendete Härtemittel härtet ausschließlich die gedruckten Bereiche. Bei der additiven Fertigung wird jede Mikroschicht auf der vorausgegangenen abgelegt, so nimmt das in 3D geplante Objekt nach und nach Form an. Die Anwendungsmöglichkeiten für diese Technik sind äußerst vielfältig – das Produktdesign gehört sicher zu den besonders für das Experimentieren geeigneten Bereichen.

Antike handwerkliche Qualität in moderner Gestalt

Von der chinesischen Tang-Dynastie (618-907 n.Chr.) wurde der aus Kaolin, Quarz und Feldspat bestehende Mineralwerkstoff als „weißes Gold“ bezeichnet. Der gleiche Werkstoff, mit dem das Unternehmen Lladró heute bis zu zweiunddreißig unterschiedliche Arten von Porzellan höchster Qualität für sein umfangreiches Produktsortiment produziert.

In ihrer Forschungsarbeit befassen sich die Techniker und Fachleute der Marke mit den chemischen Zusammensetzungen und der Modellierung, den Gravuren und Färbetechniken für hochwertige Oberflächen. Ein Team aus Künstlern und Designern begleitet die neuen Fertigungsverfahren von der Planung bis zur Produktion, um dieses traditionsreiche Material auf immer neue Weise zu interpretieren.

So hat beispielsweise Marcel Wanders für die renommierte spanische Marke die Lampenkollektion aus weißem Porzellan Nightbloom entworfen, die an weiße, im Wind tanzende Blütenblätter erinnert.

Die Lampenserie – Hängelampe, Wandlampe, Stehlampe und Tischlampe – besteht aus einem Blütenbouquet mit feinen, dreidimensionellen Äderungen, die von Hand gefertigt sind. Goldfarbene Sprenkel verbreiten changierendes, weiches Licht. Die Vibration jedes einzelnen Stücks entsteht durch das Licht, das sich seinen Weg durch die Erhebungen der Blütenblätter bahnt und nach außen für farbige Schattierungen sorgt.

Das Dekor ist an die traditionelle japanische Kintsugi-Technik angelehnt. Um die einzelnen Stücke eines zerbrochenen Keramikobjekts wieder zusammenzusetzen, wurde ein Edelmetall – Gold, Silber oder Pulvergold-Lack – verwendet, wodurch dekorative Linien und eine neue charakteristische Optik entstanden. Diese traditionelle Handwerkskunst wird auch heute noch gepflegt. Mit dieser Technik erhält jedes reparierte Stück ein einzigartiges Aussehen, das von den unregelmäßigen Bruchlinien des Keramikobjekts bestimmt wird. Das Metall hebt sie hervor und schafft überraschende Dekorationseffekte.

 

Mit Händen zu greifen

Der führende deutscher Hersteller von Qualitätsporzellan Kober nutzt modernste Technologien und hat eine umfangreiche Studie zum Einsatz von Porzellan für Türbeschläge gestartet. In der italienischen Marke Olivari fand das Unternehmen dabei den idealen Partner.

Elf Designer aus verschiedenen deutschen Bundesländern wurden dazu eingeladen, neue Ideen und Konzepte für den Einsatz dieses speziellen Materials in Kombination mit Messing zu entwickeln, dessen Bearbeitung eine Besonderheit der Marke Olivari ist. So entstand eine beeindruckende Türgriff-Kollektion.

Die Designer Sarah & Henrik Böttger, Mark Braun, Uli Budde, Laura Jungmann, Kai Linke, Studio Niruk, Jonathan Radetz, Thomas Schnur, Martha Schwindling, Talbot & Mauloubier und Beate Wich-Reif setzten sich mit diesem herausfordernden Thema auseinander.
Von Sarah und Henrik Böttger stammt beispielsweise IDO, ein für öffentliche Gebäude, große Türen sowie Schiebetüren geeigneter Beschlag mit kompakter Form. Die Oberfläche zeigt die ganze Qualität des Porzellans und macht das Objekt solide und robust. Der vom Studio Griff Jonathan Radetz entworfene Beschlag Circle verwendet Keramikmaterial und vereint in sich alle Gestaltungselemente für einen attraktiven Eingangsbereich. Die Serie Homage des Design Studios Niruk ließ sich von der Bauhaus-Architektur und der industriellen Methode für die Extrusion von Porzellanfäden inspirieren.

Spielerisch und gleichzeitig funktionell angelegt ist die Arbeit von Martha Schwindling, die von Verkehrsschildern inspiriert ist: Das langlebige Porzellan dient als Dekor und verändert den Griff in ein überall verwendbares Objekt. Mit Rito hat das Studio Kai Linke einen Türbeschlag entwickelt, der Raum und Bewegung verbindet. Die abgerundete Türklinke aus Metall bildet ein Oval, der aus Keramik hergestellte Griff fühlt sich angenehm an und ist dank abgerundetem Profil sehr komfortabel. Der Wechsel von Metall- zu Keramikflächen ist dank hoher Verarbeitungsqualität fließend.

 

Ein Geschenk für die Menschheit

Für den traditionsreichen Porzellanhersteller Vista Alegre in Portugal ist Ross Lovegrove zur Arbeit mit Keramik zurückgekehrt.

Mit seiner Lampenkollektion E2H – Earth To Humanity gibt der Designer seiner Überzeugung Ausdruck, dass die Erde dem Menschen mit Keramik und Porzellan ein ganz besonderes Geschenk gemacht hat. Die Eigenschaften und Merkmale dieses Materials müssen respektiert, aber gleichzeitig für eine moderne Interpretation jedes Mal aufs Neue erforscht werden.

Für seine von der Logik und Schönheit der Natur inspirierten Projekte mit organischen Formen nutzt der britische Designer verschiedenste Technologien und das Wissen der Werkstoffkunde, um eine neuartige Sprache für die industrielle Produktion zu definieren.

Sein Grundkonzept ist stets zutiefst menschlich und energiegeladen, seine Projekte versprühen Optimismus und innovative Vitalität, wie sich auch in den drei neuen, mehrfach ausgezeichneten Lampen von Vista Alegre – Coluna, Blooming und Comtesse – zeigt.

Lovegrove selbst kommentiert seine experimentierfreudige Arbeit mit den Worten: „Im Bereich des Designs bin ich wie ein Bildhauer, der mit Technologie Materialien formt […] Keramik ist eines der ältesten Materialien, in dem sich unsere Kreativität ausdrücken konnte, sie ist ein famoses Geschenk der Erde an die Menschheit. Ihre besonderen Eigenschaften müssen respektiert und die Grenzen gleichzeitig neu ausgelotet werden, was nur die modernen Hilfsmittel möglich machen. In die Zeichnungen für meine neuen Lampen fließen Formen ein, die durch die Schönheit der Natur beeinflusst sind und nur durch die digitale Technologie unserer Zeit möglich geworden sind.“

August 2019