Hybridisierungen vom Löffel bis zur Stadtgestaltung | von Alessandra Coppa

Das Studio von Giulio Ceppi, Gründer der Planungsgruppe Total Tool befindet sich im Stockwerk 8+1 eines hohen Gebäudes gegenüber dem Hochhaus, in dem sich der neue Sitz der Landesregierung Lombardei befindet. Plus 1 gehört dazu, denn das letzte Stockwerk hat keinen Aufzug und muss zu Fuß erklommen werden. Der Name, Total Tool, verweist auf „Global Tools“, ein namhaftes Kollektiv, gegründet 1973 in der Redaktion von Casabella, seinerzeit unter der Leitung von Alessandro Mendini. Im Kollektiv waren zahlreiche bekannte Namen tätig wie Remo Buti, Riccardo Dalisi, Adalberto Dal Lago, Ugo La Pietra, Gaetano Pesce, Gianni Pettena und Ettore Sottsass gemeinsam mit Gruppen wie Superstudio, Archizoom, Gruppo 9999, UFO und Ziggurat. Das Wohn-Arbeitsloft wurde nach Plänen von Giulio Ceppi und Ideen von Vittoriano Viganò saniert und umgebaut. In den Räumen findet man Kunstwerke, Designobjekte und laufende Projekte. Sie spiegeln in perfekter Weise das Konzept des Studios wider: interdisziplinär, hybridisierend und mit dem Ehrgeiz, die „Grenzen zu sprengen“.

Total Tool ruht auf zwei Tragpfeilern: einmal der interdisziplinäre Aspekt, in dem Design, Architektur und Kommunikation ohne einen spezifisch fachlichen Ansatz kombiniert werden. Diese Methode ist auch Teil meines Ausbildungsweges: Ich habe zuerst visuelle Kommunikation studiert, danach Architektur und dann Design. Die verschiedenen Fachrichtungen innerhalb eines Projektes zu mischen, charakterisiert meine Arbeit. Erforderlich ist das, weil der zweite Pfeiler die Arbeit mit Projekten ist, die immer eine langfristige Vision haben und sich von zeitlich begrenzten Stilübungen lösen. Mir gefällt die Vorstellung, dass ein Projekt mit dem Bau einer DNA und der Errichtung von Prinzipien und Regeln vergleichbar ist, die im Laufe der Zeit Form und Struktur annehmen. Die Form entsteht über Kommunikation, das Produkt, die Flächen, die ein Unternehmen oder eine Organisation braucht, um ihre Art des Seins und des Auftretens zu zeigen.

Dieser Quereinstieg durch alle Fachbereiche in einem Projekt hat zur Entstehung sehr unterschiedlicher Produkte geführt, die jedoch alle euren komplexen Ansatz gemeinsam haben. Welches sind die bedeutsamsten Projekte seit der Gründung des Studios 1999?

Das stimmt, es passiert uns extrem selten, dass wir ähnliche Projekte haben; das ist das Schöne an unserem Arbeitskonzept.

Eines meiner Lieblingsprojekte ist das Projekt, das wir für Reggio Children geschaffen haben. Wir haben ein Buch geschrieben Kinder, Flächen, Beziehungen: Metaprojekte für das Kindesalter, das ein Handbuch zur Planung von sensorischen Elementen in Kindergärten ist. Parallel dazu schufen wir ein „Atelier für Wasser und Energie“. Dieses Atelier ist eine Art Labor, in dem Kinder anhand von fünf großen Installationen die Funktionsweise eines großen Elektrizitätswerkes erforschen und verstehen; sie sehen auch wie ein Berg, eine Landschaft, ein Wald Elektrizität generieren können und wozu diese dient. Dabei lernen die Kinder gleichzeitig spielerisch, wie wichtig Natur- und Umweltschutz ist. Es handelt sich um ein offenes Projekt, das noch weiter entwickelt wird.

Da wir von Werkstoffen sprechen, einem Thema, mit dem ich mich aufgrund meines Backgrounds an der Domus Academy sehr gerne beschäftige, gibt es das Projekt, das wir mit SVGOMMA realisiert haben, einem kleinen Unternehmen, das Silikon- und Gummiteile als Zulieferer für große Hersteller fertigt. Gemeinsam mit ihnen haben wir einen neuen strategischen Ansatz und daraus ein Labor SVGOMMALAB entwickelt, der das Unternehmen unabhängig vom Einkauf mit seinen rein preislich getriebenen Anfragen gemacht hat. Forschung und Entwicklung haben sich mit dem Markt für Elastomere beschäftigt. Die ersten Ergebnisse zeigten sich anlässlich des 20. Designpreises Compasso d‘Oro (Goldener Zirkel), mit dem der Innovationsgehalt in der Herstellung von Silikon mit metallischen Pigmenten ausgezeichnet wurde. Dadurch ist heute die Fertigung von Silikon mit Silber-, Bronze- und Goldschimmer möglich, das sich für den Einsatz im Bereich der Haushaltsgeräte, der Mode und der Medizin eignet. Wir haben ein umfassendes und schlüssiges Kommunikationsprojekt, die Entwicklung neuer Produkte und Wettbewerbe mit der Technischen Hochschule geschaffen. So ist das Projekt zum Prozess geworden und das Ergebnis ist, dass SVGOMMA heute ganz neue Lösungen anbietet und somit auch ihre Stellung von Lieferant zu Ko-Designer entwickelt hat.

Zum Projektportfolio von Total Tool gehört auch die Autobahnraststätte Villoresi Est auf der Autobahn Mailand-Seenplatte. Das Projekt ist als eine Art krafterzeugender Organismus konzipiert und wurde 2015 abgeschlossen. Thematisch ist es eng mit der gegenüberliegenden historischen Raststätte Bianchetti verbunden. Das Gebäude beruht auf einer komplexen Konstruktion mit unterschiedlichen technischen Aspekten, anspruchsvollem Anlagenbau und Architekturanforderungen und ist von der Energieeffizienz und dem Verbrauch her ein sehr innovatives Bauwerk. Entwickelt wurde es unter anderem durch den besonderen Ansatz von Designkultur als Serviceleistung, im Sinne von Design for all.

Kommen wir auf das für Sie wichtige Thema Werkstoffe zurück: Außer mit Silikon haben Sie je mit Keramik gearbeitet?
Letztes Jahr haben Sie mit einem sehr interessanten Beitrag zur Kommunikation der Werbekampagnen für Keramik in 1000 Ausgaben seit 1928 der Fachzeitschrift Domus an der Cersaie teilgenommen.

Gemeinsam mit der Zeitschrift Domus habe ich ein Projekt mit dem Titel „Die Worte der Keramik“ vorgestellt, das eine Art Analyse der Kommunikation über die Werbung in 1000 Ausgaben von Domus, also über 20 Jahre Geschichte, ist. Ziel war es, zu verstehen wie sich die Kampagnen der italienischen Keramikhersteller im Laufe verändert und an eine Reihe von Trends angepasst haben. Organisiert haben wir die Recherche durch die Schaffungen von Polen und dabei gesehen, wie die Werbeseiten im Laufe der Zeit unterschiedliche Bedeutungen und Gewichtungen erhalten haben. Ein Pol war beispielsweise „bildlich-abstrakt“, das heißt eine direkte Darstellung von Keramik oder nicht und die Erfassung wie diese Trends sich im Laufe der Zeit verändert haben. Dann haben wir beispielsweise betrachtet, inwiefern in der Kommunikation das einzelne Produkt oder das Umfeld dargestellt wurde. Zu Beginn war das Produkt das zentrale Element und nach und nach wird erweitert auf das Ambiente, die Stimmung, die Architektur. Es hat sich gezeigt, dass der erzählerische Strang anfänglich eher technischer Art war und sich dann auf eine emotionale, fantasievolle Ebene verschoben hat. Die italienischen Keramikhersteller hatten bereits 1972 das Thema der Erde, der Rohstoffe erfasst und stellten Keramik als urtümliche Emotion vor. Damit griffen sie der aktuell modernen Idee der Rückverfolgbarkeit vor und unterscheiden sich von spanischer und chinesischer Keramik durch das was ihren Gehalt ausmacht und zwar ihre Tonerde. Ein weiterer interessanter Aspekt ist, was das Unternehmen über seinen Produktionsprozess preisgibt und ob es den Betrachter in sein Werk hineinlässt oder sich auf die Präsentation des Endproduktes beschränkt. Bereits in den 60er Jahren zeigten einige Unternehmen stolz ihre Produktionsstätten. Und dann gibt es noch das Thema der Imitationen anderer Baustoffe in der Keramik, wie beispielsweise Holz, und wie Keramik als etwas ganz anderes dargestellt wird, zum Beispiel als Edelstein.

Als Planer was halten Sie von Keramik, die sich als Holz oder Naturstein präsentiert?

Das ist genau das Thema mit dem ich mich derzeit für Target Group beschäftige. Die Idee wäre eine „provozierend-imitierende“ Kollektion zu schaffen – ich bin mir noch nicht ganz sicher wie sie genannt werden soll – mit der der Eindruck entsteht, man laufe über die Mond- oder Marsoberfläche. Lassen Sie mich es etwas anders ausdrücken. Ich möchte etwas nachstellen, das in Wirklichkeit nicht vorhanden und unerreichbar ist: ein echtes Fake. Vorgeschlagen habe ich eine „authentische Imitation“ mit dem Versuch Beläge zu schaffen, die an das Gestein auf dem Mond oder Mars erinnern. Ausgehend von den Forschungsergebnissen der Sonde Galileo wird das Marsimitat eher eisenhaltig und sandig und der Mond eher metallisch wirken.

Worauf sollten die Hersteller in der Entwicklung ihrer Keramikmaterialien setzen?

Ein Aspekt, der meiner Ansicht nach besonders berücksichtigt werden sollte, ist, dass Keramik nicht nur als Dekor oder Belag gesehen wird, auch wenn es unvermeidlich ist, da Keramik schon immer so betrachtet wurde. In einem reifen, fortschrittlichen Markt, mit den Chinesen einerseits und den Brasilianern und Spaniern andererseits muss die italienische Vorherrschaft auf dem Spielfeld der Qualität, einer intelligenten Produktion und der Fähigkeit zu erklären, warum italienische Keramik besser ist, ausgefochten werden. Architekten, Planer und Verbraucher müssen in die Keramik und ihre Natur, Eigenschaften und Produktionsverfahren durchdringen können. Meiner Ansicht nach muss mehr im Bereich der Dreidimensionalität und des Volumens agiert werden. Ich glaube auch, dass integrierte Lösungen von Keramik mit anderen Baustoffen möglich sind. Der Denkansatz sollte sich nicht mehr nur auf einen einzigen Werkstoff beschränken, denn das Potenzial jedes Materials liegt in seiner Fähigkeit zum Dialog mit anderen Werkstoffen und einer intelligenten Integration mit Technologie. Und damit der Hybridisierung.

 

BIOGRAPHIE

Giulio Ceppi, Architekt und Designer, studiert an der Technischen Hochschule in Mailand, an der er auch promoviert. Seit 1994 ist er als Professor und Forscher hier tätig.

Er erhielt Lehraufträge am Interaction Design Institute Ivrea und den Fakultäten für Architektur in Genua, Turin, Rom und der Katholischen Universität in Mailand. 2005 gründet und leitet er den Master in Business Design der Domus Academy.

Seine Themen sind sensorische Planung und Materialdesign, die Entwicklung neuer Technologie und Strategien zur Identität.

Bis 1997 war er Koordinator des Forschungszentrums Domus Academy und anschließend Senior Design Consultant bei Philips Design.

1999 gründet er Total Tool, ein Unternehmen für Visioning und Design Strategy mit Sitz heute in Mailand und Buenos Aires. Er erhält sechs Nominierungen für den Compasso d‘Oro, eine Erwähnung in der ICSID Hall of Fame, gewinnt zwei Mal den Italienischen Innovationspreis des Confcommercio (Verband der Händler) und den Preis Dedalo Minosse für seine Entwicklung Design for all.

Er kooperiert mit Auchan, Autogrill, Bhartyia, Coop, Deborah, Ikea, Luceplan, Mitsubishi, Nissan, Nike, PepsiCo, Pininfarina, Pirelli, SaporitiItalia, Unilever, Viacom, Versace, Vertu, 3M und Institutionen wie Archivio Disarmo, Stadt Mailand, Europäische Union, Federlegno, Reggio Children, Turin 2006.

Seine Workshops und Konferenzen führten ihn in mehr als 25 Länder und er ist Autor verschiedener Sachbücher über Design und Projektkultur.

Er lebt und arbeitet in Mailand und am Comer See, wo er 1965 geboren wurde.