Architektur als Marke | von Alessandra Coppa

Lombardini22 ist nach der Straße und Hausnummer des Firmensitzes im Navigli-Viertel in Mailand benannt. Wir treffen die Architekten Adolfo Suarez und Marco Amosso in diesem ehemaligen Industriegebäude mit offenen und hellen Innenbereichen, die durch Säulen, unterschiedliche Höhen, Beleuchtungskörper und Schreibtische – alles in Weiß gehalten – rhythmisch gestaltet sind. Es sind zwei von insgesamt sieben Gesellschaftern mit unterschiedlichem Background (Architektur, Engineering, Marketing, Kommunikation), die die Gruppe 2007 mit einem innovativen Ansatz für den Bereich Planung und Architektur gegründet haben. Amosso leitet die Business Unit L22 Urban & Building, die auf Architekturprojekte für den Neubau oder die Sanierung von Gebäuden spezialisiert ist, die zu Gewerbe-, Wohn- und Kulturzwecken genutzt werden. Suarez ist hingegen Leiter des Geschäftsbereichs Retail, der sich mit der Planung und Optimierung von Einkaufszentren befasst.

Wie entstand Ihr Studio, die Gruppe Lombardini22, die wie eine Art Labor strukturiert ist und Projekte als hochkomplexe Prozesse betrachtet?

Adolfo Suarez: Jeder von uns Gesellschaftern könnte Ihnen eine andere Geschichte erzählen. Wir sind sieben verschiedene Persönlichkeiten mit sieben unterschiedlichen Auffassungen von unserer Mission und unserer Berufspraxis. Das was uns verbindet, ist unsere Gesamtvision: Wir sehen uns als Servicestruktur, die den Interessen des Kunden dient und ihre Fachkompetenz in der Projektpraxis bereitstellt. Zu unserer Gruppe gehören Fachleute aus den Bereichen Wirtschaft, Ingenieurwesen und Architektur und jeder bringt seine spezifischen Fähigkeiten in das gemeinsame Projekt ein.

Wie funktionieren die verschiedenen „Business Units” der Gruppe Lombardini22, deren Leistungsspektrum vom Einkaufszentrum bis zur Kommunikation reicht?

AS: Für uns ist Kompetenz äußerst wichtig: Nur wenn wir eine Arbeit optimal ausführen können, nehmen wir sie an. Wir haben mit der Erstellung von Büros angefangen, weil einige unserer Gesellschafter entsprechende Kompetenzen in diesem Bereich hatten. Dann haben wir uns durch die Integration der Marke DEGW weiter auf diesen Bereich spezialisiert.

MA: Die anfängliche Erfahrung mit der Akquisition einer externen Gesellschaft (DEGW) und der Integration des italienischen Zweigs eines globalen Konzerns hat uns klargemacht, dass das Arbeiten im Rahmen einer Marke – auch intern geschaffener Marken – interessant ist. Wir schaffen ein glaubwürdiges Markenbild für sehr unterschiedliche Branchen.

AS: Die verschiedenen Marken, die „Business Units”, sind für Projekte entstanden. Unter dem Namen „Eclettico Design” haben wir beispielsweise die Erfahrungen im Hotelbereich zusammengefasst, die aus der Planung des Hotels Armani stammen. Manche Bereiche erfordern eine stärkere Projektorientiertheit und die Identifizierung mit einer herausragenden Marke ermöglicht es uns als Gruppe Lombardini22, das unternehmerische Risiko zu diversifizieren und auf Wachstumskurs zu bleiben. Eine gewisse kritische Masse an Projekten erlaubt uns zudem, einen hochwertigen Service zu bieten, der unabhängig vom Konjunkturverlauf ist.

Bei Ihnen gibt es sieben Gesellschafter, viele Senioren und viele Junioren. Was heißt es, ein Projektkonzept gemeinsam zu erarbeiten?

AS: Lombardini22 könnte man aufgrund seiner „strukturierten Komplexität” als ein Unternehmen definieren, das mit „positiven Konflikten” arbeitet. Jeder bringt seine persönlichen Eigenheiten ein und respektiert die Ideen der anderen.

 Sie verbergen sich hinter einer Signatur, treten also nicht als  Autoren hervor

MA: Wie schon gesagt, ist unsere Gruppe aus unternehmerischen Überlegungen entstanden. Ich habe damit meine ersten Erfahrungen im Studio von Renzo Piano fortgesetzt, das in gleicher Weise strukturiert ist und mich geprägt hat.

In Ihrer Website ist von Ihrer Projektmethode Design Thinking die Rede. Was hat es damit auf sich?

AS: Mit dem Design Thinking verfolgen wir einen Ansatz, mit dem wir überprüfen können, ob eine Lösung korrekt ist. Ist sie es nicht, fangen wir noch einmal an. Dieses Verfahren betrifft die gesamte Kette, zu der das Projekt gehört.

Welches besondere Projekt ist repräsentativ für Ihre jeweilige Business Unit?

MA: Ein Projekt, das für unsere interne Weiterentwicklung sicherlich von Bedeutung war, ist  das Holcom HQ in Beirut (2015). Unsere Idee war es, im selben Gebäude mehr als 20 zur Holdinggesellschaft gehörende Unternehmen zusammenzufassen und dazu ein ikonisches Gebäude in der urbanen Landschaft von Beirut zu schaffen. Das Projekt interpretiert die Identität von Holcom mit einem verdichteten und gleichzeitig diversifizierten Konzept, das auf einer Reihe von Schichten basiert, die auf den verschiedenen Ebenen verschiedenen Funktionen dienen, vom Lager bis zu hochmodernen Büroräumen. Alles befindet sich innerhalb einer doppelten Gebäudehülle, die zusammen mit den Innenbereichen ein koordiniertes und kohärentes System bildet.

Und dann ist da noch das Projekt Theatro von 2017, ein Ausstellungsbereich in Verano Brianza (MB): Hier wollten wir ein Gebäude zum Kommunikations- und Marketinginstrument des Kunden machen. Es basiert auf einer Idee von Thema und Schüco Italia, die ihre Produkte in einer für die Branche vergleichsweise revolutionären Weise präsentieren wollten, mit einer Bühne, einem Publikumsbereich, einem Bühnenbild und einem Foyer. Ein anderes Projekt, das ich hervorheben möchte und an dem unsere Marke FUD Brand Making Factory beteiligt war, ist der neue Sitz von Microsoft Italia in Mailand, den wir mit DEGW geplant haben. Wir haben uns auch um die Entwicklung eines Systems gekümmert, das mit dem Projekt für die Innengestaltung und der Verwaltung der wechselnden Arbeitsplätze verbunden ist.

AS: Im Bereich Retail ist meiner Meinung nach die Modernisierung des Supermarkts Unicoop in Castelfiorentino (2015) sehr interessant, bei der eine zweite Hülle über die bereits vorhandene Gebäudehülle gelegt wurde. So zeigt sich die Fassade mit einem ganz neuen Gesicht. Der Innenbereich der Galerie erhält über die beiden bestehenden Oberlichter natürliches Licht, ergänzt durch ein System aus Gipskartonplatten wird die diffuse Beleuchtung während des Tages gelenkt und intensiviert. Die Kopfwände der Schaufenster des Einkaufszentrums sind durch einen Keramikbelag in verschiedenen Grautönen aufgelockert, der mittlerweile zum Standardformat der Kassenfronten in den Supermärkten von Unicoop Firenze geworden ist. Der Umbau in Castelfiorentino ist Teil von Relooking, einem umfangreichen Modernisierungsprojekt für mehrere Einkaufszentren von Unicoop Firenze.

Sie haben für die Modernisierung der Einkaufszentren von Unicoop Firenze Keramikmaterial von Ceramica Vogue und Inalco verwendet und auf der Cersaie für Appiani die neuen Kollektionen präsentiert. Worin besteht dieses Projekt und was halten Sie vom optischen und strukturellen Potenzial von Keramik?

MA: Adolfo ist derjenige unter uns, der am häufigsten Keramik verwendet, denn in den Einkaufszentren gib es große Flächen, die mit Keramikbelägen ausgeführt werden. Außerdem verwenden wir Keramikfliesen im Hotelbereich, wo es aufgrund der interessanten Weiterentwicklung von Keramik wieder einen starken Trend zu diesem Material gibt. Die sehr großen und sehr kleinen Formate sind besonders interessant. Der Einsatz von Keramikmaterial für Außenbereiche hat bei hinterlüfteten Fassaden mit den Großformaten deutlich zugenommen, da sie die Anfertigung außergewöhnlicher Verkleidungen ermöglichen, die mit Naturstein aufgrund der extrem hohen Kosten undenkbar wären. Die Fähigkeit der Keramikbranche, sehr unterschiedliche Themen aktuell zu interpretieren, ist ausgesprochen interessant.

AS: Der hohe technische Fortschritt und die gestiegenen Individualisierungsmöglichkeiten von Keramikmaterial führen zu einzigartigen Bodenbelägen. Durch beständige technische Weiterentwicklung bietet dieses Material hohe Flexibilität.

MA: Die Erfahrung mit Appiani war einzigartig, denn sie begann mit einer Beratungstätigkeit von FUD in Bezug auf die Neupositionierung der Marke, nicht des Produktes. Nachdem wir Appianis Arbeitsgruppe näher kennengelernt hatten, bot sich die Möglichkeit, ein innovatives Produkt zu entwickeln und zwar ein ungewöhnliches Mosaik. Auf der Cersaie 2017 wurde eine Vorschau auf die neuen Kollektionen präsentiert: In „Metrica” wird die traditionelle Geometrie von Keramik aufgebrochen und durch Farben und Glanz des Bronzeschimmers der Kacheln bewegt; „Libra” ist durch Hell-Dunkel-Effekte gekennzeichnet und „Denim” (2018) greift die Blaunuancen von Jeansstoff auf.

BIOGRAPHIE

Lombardini22 ist eine Gruppe von Fachleuten mit Spezialisierung auf die Bereiche Office, Retail, Hospitality und Data Center und wurde 2007 in Mailand gegründet. In der Rangliste des Sole 24 Ore für die italienischen Architekturunternehmen belegte sie nach weltweitem Umsatz (12,2 Millionen im Jahr 2017) den dritten Platz und den ersten Platz in Bezug auf den in Italien erzielten Umsatz. Lombardini22 beschäftigt mehr als 200 Mitarbeiter, darunter Architekten, Ingenieure, Designer und Kommunikationsfachleute; das Durchschnittsalter liegt bei knapp 35 Jahren.

Die vom Präsidenten Paolo Facchini und dem Geschäftsführer Franco Guidi geleitete Gruppe hat heute sieben Gesellschafter und arbeitet mit fünf verschiedenen Marken: L22 ist für Architektur und Ingenieurwesen zuständig, DEGW ist Marktführer im Bereich Workplace und strategische Beratung zur Interaktion zwischen physischem Raum und Unternehmensleistung, FUD Brand Making Factory ist Spezialist für Physical Branding und Communication Design, CAP DC widmet sich Datenzentren und Eclettico ist für den Hotelsektor zuständig.

>> www.lombardini22.com

April 2019